Alfred Verdross
Die besondere Bedeutung von Verdross für die Reine Rechtslehre liegt darin, dass er das Völkerrecht mit dem Instrumentarium der Reinen Rechtslehre in den Blick nahm und dieses sozusagen in den "Kosmos" der Reinen Rechtslehre einbezog. Zwar wandte er sich schon bald einer naturrechtlichen Position auf neoaristotelischer/neothomasischer Basis zu, blieb aber letztlich sowohl Kelsen freundlich gewogen als auch dem Denkstil der Reinen Rechtslehre verhaftet; letzteres äußert sich etwa in der ihm eigenen Art, die auftretenden Probleme scharf zu erkennen und präzise zu behandeln.
Alfred Verdross wurde 1890 in Innsbruck geboren, studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Wien, München und Lausanne und promovierte 1913 zum Dr.iur. 1916 legte er die Richteramtsprüfung ab. Schon früh wandte sich Verdross dem Völkerrecht zu; von 1918 bis 1924 war er im Außenministerium tätig. Von 1918 bis 1936 lehrte er in der Volksbildung; 1921 habilitierte er sich in Wien für Völkerrecht und erlangte im Jahr 1924 die Stellung eines Professors für Völkerrecht, Rechtsphilosophie und Internationales Privatrecht, die er - mit gewissen Einschränkungen während der nationalsozialistischen Herrschaft - bis 1961 ausübte. Ab 1927 hielt Verdross mehrmals Vorträge an der Academie de droit international in Haag. Ab 1950 war er Mitglied des Institut de Droit International (was unter Völkerrechtlern als eine der höchsten Auszeichnungen gilt), von 1958 bis 1977 Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, von 1956 bis 1966 Mitglied der International Law Commission. Verdross starb 1980.